Der Internet-Riese Amazon ist immer für eine Überraschung gut. Nachdem erst vor wenigen Monaten in den USA eine neuer Transportdrohnen-Prototyp vorgestellt wurde, der demnächst die Paketbelieferung über Kurzstrecken ermöglichen soll, produziert der Konzern jetzt Schlagzeilen mit dem möglichen Aufbau einer eigenen Luftfracht-Flotte.

Mit diesen und anderen Initiativen will sich Amazon ein Stück weit unabhängiger von den großen Logistik-Dienstleistern machen.

Am Anfang stand ein Desaster. In den hektischen Tagen des Vorweihnachtsgeschäftes 2013 warteten Tausende Amerikaner vergeblich auf ihre Bestellungen bei Amazon fürs Fest. Statt der georderten Geschenke mussten mangels Lieferung vielfach Gutscheine unterm Baum genügen. Der Grund dafür war, dass die von Amazon beauftragten Logistiker – zum Beispiel UPS oder Fedex – die Flut der Bestellungen einfach nicht bewältigen konnten. Spätestens seit diesem Zeitpunkt hat Amazon damit begonnen, sich mit eigenen Transport-Lösungen zu befassen. Neue Leistungsversprechen wie die “Same Day-Zustellung” erhöhten den Handlungsdruck zusätzlich.

Eigene Frachtfluglinie nicht vor 2017

In diesem Kontext sind auch die aktuellen Meldungen über ein geplantes künftiges Amazon-Luftfrachtunternehmen zu sehen. Die am Hauptsitz des Internet-Riesen erscheinende und gewöhnlich gut informierte “Seattle Times” berichtet darüber. Danach soll Amazon konkret beabsichtigen, 20 Frachtflugzeuge vom Typ Boeing 767 zu leasen. Dazu seien bereits Gespräche mit bekannten Charteranbietern bei Frachtfliegern wie Atlas Air, Air Transport Service Group (ATSG) oder Kalitta Air im Gange. Diese Investition wäre nicht ganz billig, das Leasing kostet im Monat zwischen 300.000 und 600.000 US-Dollar pro Jet.

Auf Dauer dürfte der Kauf der Flugzeuge für Amazon günstiger sein. Dies würde sich aber nur rechnen, wenn Amazon den Flugbetrieb langfristig in die eigene Hand nähme und ihn nicht nur als Entlastung im Weihnachtsgeschäft betrachtet. Für kurzfristige Lösungen scheidet diese Option jedenfalls aus. Denn die Beantragung des dafür erforderlichen Zeugnisses als Luftverkehrsbetreiber und die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen benötigt einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Eine Frachtfluglinie in kompletter Eigenregie wäre wohl frühestens in 2017 realistisch. Dann könnten nach Experten-Schätzung bis zu 60 Flugeinheiten zum Einsatz kommen.

Es gibt verdächtige Signale

Bis auf weiteres setzt man wohl erst einmal auf Tests, um festzustellen, was der Eigenflugbetrieb tatsächlich bringen würde.
So soll Amazon bereits von ATSG gecharterte Boeing 767-Frachter einsetzen. Als Luftfracht-Hub dient dabei der Flugplatz Wilmington im US-Bundesstaat Ohio. Wilmington verfügt über entsprechende Luftumschlaganlagen, die früher von DHL Express genutzt wurden, ehe sich die Deutsche Post-Tochter aus dem US-Expressfrachtmarkt zurückzog. Insofern könnte Amazon hier auf eine ausgebaute Infrastruktur zurückgreifen.

Offiziell bestätigt werden all diese Überlegungen und Aktivitäten von Amazon nicht. Doch es gibt verdächtige Signale. Der Flugverfolgungsdienst Flightaware.com hat im Zeitraum von Anfang November bis Mitte Dezember 2015 insgesamt 219 Flüge von Boeing 767-Frachtern von Wilmington aus festgestellt, die alle ATSG zugeordnet werden konnten. Im Schnitt starteten dort fünfmal täglich Flüge mit den Zielen Allentown (Pennsylvania), Ontario (Kalifornien) und Tampa (Florida). Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass sich in der Nähe dieser drei Ziele jeweils große Logistikzentren von Amazon befinden. Die Wilmington-Flüge sind dabei keineswegs die einzigen Aktivitäten in diesem Bereich. So betrieb Amazon im letztjährigen Weihnachtsgeschäft eine Kurzzeit-Fluglinie zwischen dem englischen Doncaster, Kassel und Breslau. Auch hier gibt es überall bedeutende Amazon-Logistikzentren im Umfeld.

Eine gezielte Strategie

Es deutet derzeit vieles auf eine gezielte “Unabhängigkeits”-Strategie des Internet-Riesen bei seiner Logistik hin. Auch in Deutschland finden sich weitere Beispiele dafür. Dazu passt unter anderem die im vergangenen Jahr erfolgte Eröffnung eines ersten Amazon-Verteilzentrums in Olching bei München. Dort verteilen 130 Mitarbeiter Pakete für die Same Day-Zustellung oder Lieferung am folgenden Tag. Die Auslieferung erfolgt (noch) über lokale Subunternehmer. Olching könnte ein Pilotprojekt für andere Verteilzentren in deutschen Metropolregionen sein – ein weiterer Baustein in der Amazon-Strategie und wenig Anlass zur Freude für Anbieter wie die Deutsche Post oder Hermes.