Am 23. Juni 2016 – also vor gut zwei Jahren – stimmten die Briten mit knapper Mehrheit für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union. Damit wird die EU eines ihrer größten Mitgliedsländer, ein Achtel ihrer Bevölkerung und ein Sechstel ihrer Wirtschaftskraft verlieren. Das Ausscheiden Großbritanniens ist eine Zäsur. Gemäß den EU-Regularien und der offiziellen schriftlichen Ankündigung des Austritts durch die britische Regierung wird das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 die EU verlassen. Bis zu diesem Termin ist es gerade mal noch etwa ein halbes Jahr. Gemessen an diesem überschaubaren Zeitraum ist bisher bei den Austritts-Verhandlungen erschreckend wenig erreicht worden.
Nach wie vor ist nicht klar, wie sich die Beziehungen Großbritanniens zur EU nach dem Stichtag gestalten werden. Zollunion, Freihandelszone, eine Verhältnis zur EU wie bei anderen EWR-Ländern, klar getrennte Wege – alles scheint denkbar und möglich. “Harter Brexit” oder “Weicher Brexit”? Gegen heftigen Widerstand in den eigenen Reihen hat sich Premierministerin May eher für letzteren Weg entschieden, setzt dabei aber auf’s berühmte “Rosinenpicken” – eine Strategie, die von der EU strikt abgelehnt wird. Nachdem EU-Chefunterhändler Michel Barnier erst kürzlich das Szenario eines ungeordneten Brexits – das heißt eines Ausscheidens ohne Einigung – als nicht unrealistisch dargestellt hat, ist die Unruhe bezüglich des Brexits und seiner möglichen Folgen wieder gewachsen.
Zölle und Steuern – Importe und Exporte mit britischem Bezug werden teurer
Dies gilt auch für die Logistik-Branche, deren Transporte von und nach Großbritannien sich bisher ganz selbstverständlich im Rahmen des Gemeinsamen Binnenmarktes bewegten und dadurch vergleichsweise unkompliziert waren. Es waren keine Zoll- und Steuervorschriften zu beachten und abwicklungstechnisch unterschied sich die Beförderung – vom geografischen Hindernis Ärmelkanal abgesehen – kaum von der Beförderung im Inland. Wenn vieles im Zusammenhang mit dem Brexit unklar sein mag, eines ist ziemlich sicher: so einfach wird es nicht bleiben. Spediteure und Logistiker tun daher gut daran, sich auf eine demnächst veränderte Situation einzustellen. Die konkrete Vorbereitung darauf wird allerdings durch die Unwägbarkeiten des weiteren Verhandlungsprozesses erschwert.
Wenn der freie Warenverkehr zwischen der EU und Großbritannien wegfällt oder eingeschränkt wird, ist tendenziell mit Transportverzögerungen und höheren Transportkosten zu rechnen. Zeitverluste ergeben sich automatisch durch ggf. notwendige Kontrollen, Zollabfertigung und Versteuerung. Da gerade im Speditionsgewerbe Zeit immer auch Geld bedeutet, ist dies gleichbedeutend mit einer Verteuerung des Transports. Längere Standzeiten, höherer abwicklungstechnischer Aufwand, unter Umständen erforderliche Zwischenlagerungen werden sich zwangsläufig in den Frachtraten niederschlagen. Importe und Exporte von und nach Großbritannien werden gleich in zweifacher Hinsicht belastet: durch höhere Transportkosten und durch die Zollerhebung selbst. Relativ einfach dürfte dagegen die systemtechnische Umstellung bei der Einführung von Zöllen zu realisieren sein. Da die Zollabwicklung weitgehend standardisiert ist, müssten die neuen Zolltarife nur eingespielt werden und könnten sofort Anwendung finden.
Veränderte Warenströme durch den Brexit?
Während neue Hürden im Hinblick auf Zollabfertigung und administrative Abwicklung sich unmittelbar auf Transporte zwischen der EU und Großbritannien auswirken, gibt es auch mittelbare Effekte durch veränderte Warenströme. Diese Auswirkungen sind naturgemäß noch schwieriger abzuschätzen, zumal sie sich nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und längerfristig bemerkbar machen werden. Im vergangenen Jahr wurden von Deutschland Güter im Wert von 84,4 Mrd. Euro nach Großbritannien exportiert, umgekehrt fanden von dort Waren im Wert von 37,1 Mrd. Euro den Weg zu uns. Fahrzeuge stehen bei den deutschen Exporten ganz oben, sie machen mehr als ein Drittel des Ausfuhrvolumens aus. Andere wichtige Exportgüter sind chemische Erzeugnisse, Elektronik und Maschinen. Bei den Importen aus Großbritannien entfällt rund ein Viertel auf Fahrzeuge, ebenfalls gefolgt von chemischen Erzeugnissen, Elektronik und Maschinen sowie Erdöl und Gas.
Bei vielen Herstellern sind britische Unternehmen oder Niederlassungen Bestandteil der Produktions- und Lieferketten. Das gilt auch in umgekehrter Richtung. Diese Ketten werden durch den Brexit tendenziell gestört. Auch hier können sich Zölle, Steuern und höhere Transportkosten negativ auswirken. Das gilt in gleicher Weise für Transportverzögerungen. Produktionskosten der betroffenen Erzeugnisse steigen durch den Brexit eher, die Wettbewerbsfähigkeit wird darunter im Zweifel leiden. Eine Reaktion von Unternehmen hierzulande könnte darin bestehen, den britischen Anteil in Produktions- und Lieferketten zu reduzieren oder ganz abzubauen, um das “Brexit-Risiko” zu umschiffen. Britische Produzenten stellen womöglich ähnliche Überlegungen für sich an.
Ein schwierigerer Markt mit gebremstem Handelsvolumen
Für viele Unternehmen dürfte ein Großbritannien außerhalb der EU ohnehin ein schwierigerer Markt werden. Das gilt nicht nur im Hinblick auf dann möglicherweise geltende unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen beim Produktangebot. Wie die wirtschaftliche Entwicklung des Vereinigten Königreichs nach dem Ausscheiden aus der Union aussehen wird, steht einstweilen in den Sternen. Zwar hat sich die britische Wirtschaft seit der Brexit-Entscheidung erstaunlich robust gezeigt. Bisher kam es allenfalls zu einer leichten Abschwächung des Wachstums, nicht zu einem Einbruch. Doch das muss insbesondere nach einem ungeordneten Brexit nicht so bleiben. Viele Unternehmen warten derzeit noch die weiteren Verhandlungen ab und werden erst bei mehr Klarheit Konsequenzen ziehen. Aber Überlegungen und in vielen Fällen auch Pläne gibt es bereits. Unter Umständen kommt es zu kurzfristigen Standort-Verlagerungen.
Auf jeden Fall ist es wahrscheinlicher, dass sich der Warenaustausch zwischen der EU und Großbritannien nach dem Ausscheiden des Landes verringern wird als dass er dynamisch weiter wächst. Die Brexit-bedingte Verteuerung der Handelsgüter und die genannten “Störungen” lassen eher eine “gebremste” Entwicklung des europäisch-britischen Handels erwarten. Das bedeutet dann letztlich auch, dass weniger hinüber und herüber zu transportieren sein wird. Ob an anderer Stelle eine Kompensation durch eine Neuausrichtung der britischen Handelsströme – zum Beispiel in Richtung USA, Kanada oder den Nicht-EU-Raum – stattfinden wird, bleibt abzuwarten. Spediteure mit starkem Großbritannien-Geschäft müssen jedenfalls mit Veränderungen rechnen.
Sich auf alternative Szenarien einstellen
Angesichts der “unklaren Gemengelage” fällt es schwer, sich konkret auf den nahenden Brexit einzustellen. Das gilt für Spediteure wie Logistiker gleichermaßen. Solange keine gesicherten Daten und Fakten vorliegen, ist es kaum möglich, Geld in die Hand zu nehmen, um Investitionen durchzuführen. Im Prinzip bleibt nur, verschiedene Szenarien durchzuspielen und dafür jeweils Handlungsstrategien zu entwerfen. Es lassen sich auch Vorbereitungen treffen, um im Falle des Falles schnell agieren zu können. Dabei sollte man mit einem gesunden Pessimismus an die Sache herangehen. Beim bisherigen Verhandlungs-Verlauf ist nicht zu erwarten, dass der gordische Knoten der bisher ungelösten Fragen und Probleme doch noch in letzter Minute durchschlagen wird.